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Grußwort zur Auftaktveranstaltung „Revierperspektiven: Gutes Leben – gute Arbeit“

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

werte Referenten und Referentinnen, werte Pressevertreter und -vertreterinnen,

liebe klimabewegte Mitstreiter und Mitstreiterinnen,

auch von mir ein herzliches Willkommen in der Kolpingstadt Kerpen, willkommen im Energie-Kompetenz-Zentrum und schön, dass sie es trotz der Kurzfristigkeit der Einladung ermöglicht haben, am heutigen Samstag hier zu sein.

Der Themenkreis Klimakrise, Energiewende, Strukturwandel, Braunkohlenausstieg, und nicht zuletzt auch die Einsetzung und Arbeit der sog. „Kohlekommission“, die im Juni letzten Jahres ihre Arbeit aufgenommen hat, haben im vergangenen Jahr eine große Dynamik entfaltet und zu extrem kontroversen Diskussionen insbesondere auch in unserer Region geführt.

Die Umsetzung der Pariser Klimaziele und die Energiewende sind gesamtgesellschaftliche Herausforderungen, die für die Zukunft des Rheinischen Reviers von großer Bedeutung sind. Mit der Berufung von Hannelore Wodke für die Lausitz und mir, als Vertreterin des Reviers und der betroffenen Anwohner, hat die Bundesregierung erstmals auch bürger-schaftlich engagierte Vertreterinnen in eine Kommission berufen. Für mich persönlich war und ist das eine große Verantwortung und Herausforderung, denn ich weiß keinen großen Verwaltungs-Apparat hinter mir, wie z.B. Gewerkschafts- oder Verbändevertreter. Stattdessen genieße ich den Rückhalt und das Vertrauen in dem kohlekritischen Netzwerk, welches bereits seit Jahrzehnten hier arbeitet. Und auch das einer sehr agilen und engagierten Bürgerschaft. So habe ich die großartige Möglichkeit in diesem Netzwerk aus engagierten und kompetenten BürgerInnen auf eine einzigartige Schwarmintelligenz in zurückzugreifen.

Die Tatsache, dass diese Akteure durch meine Berufung eine Stimme innerhalb der sog. Kohlekommission erhalten haben, dass sozusagen „WIR“ berufen wurden, wird nicht nur als Belohnung für die jahrzehntelange Basis-Arbeit, die aus verschiedensten Gründen oft öffentlich nicht wahr genommen wurde, aufgefasst, sondern sie hat viele positive Energien frei gesetzt. Diese Energien haben sich nicht nur in öffentlichen Aktionen, beispielsweise in Veranstaltungen und Demonstrationen, Bahn gebrochen, sondern auch in konzentriertem Arbeiten an zukunftsweisenden Konzepten für unsere Region, mit vielen kleinen und großen Projektideen, die zu mir und zu uns fanden. Statt mit Steuerungskreisen oder gar einer „task force“ hat sich auf zivilgesellschaftlicher Ebene mit der Konstituierung der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ so der „Zivilgesellschaftliche Koordinierungskreis Strukturwandel“ zusammengefunden.

Diese Plattform vieler gesellschaftspolitisch aktiver Gruppen, deren Arbeit von der Stiftung Umwelt und Entwicklung unterstützt wird, umfasst ca. 50 einzelne Akteure, die ca. 30 Gruppen zugehörig sind: das Spektrum reicht von Vertreter*innen beider Kirchen, Umweltschutzgruppen, Gewerkschaftern und parteipolitisch Engagierten, bis hin zu Bürgerinitiativen, Verbänden und Jugendorganisationen.

Zusammen haben sie ein vernetztes Konzept für die Gestaltung des Strukturwandels entlang von 8 Leitlinien erarbeitet: die „Revierperspektiven Rheinland: gutes Leben und gute Arbeit“.

Gestaltet von Menschen aus der Region für Menschen in der Region. Nachdem das Konzept bereits im Oktober 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und Eingang in den Strukturwandelzwischenbericht der Kommission gefunden hat, möchten wir durch eine Reihe von Veranstaltungen in den kommenden Monaten die öffentliche Debattenkultur in der Region bereichern und erweitern.

Wir bringen uns aktiv, konstruktiv und langfristig in den Prozess des Strukturwandels ein. Wir möchten das zukünftige Leben in Zeiten des Klimawandels aktiv mitgestalten.

Wir sind der Überzeugung:

Zukunftsweisende Wege für die Gestaltung des Prozesses müssen sich durch eine von Argumenten getragene Auseinandersetzung um die besten Lösungen – im ökologischen, sozialen und ökonomischen Sinn – ergeben.

Deshalb besteht unser Konzept nicht aus einer Auflistung einer Reihe von Projekten, wenngleich Projekte auch im Anhang unserer Konzeptpräsentation zu finden sind, sondern unser Anspruch war zunächst zu überlegen, welche Kriterien müssen denn „Strukturwandelprojekte“ eigentlich erfüllen, wenn sie wirklich zukunftsweisend und zukunftsfähig im Sinne von Klima- und Umweltschutz sowie Nachhaltigkeit sein sollen. Unsere sog. LEITIDEEN basieren daher auf Nachhaltigkeit und folgen den Vorgaben der Bundesregierung und den Vereinten Nationen. Diese Leitideen sind so etwas wie ein Prüfstand für alle möglichen Projekte, bereits gute bestehende und neu zu entwickelnde, und in dem Zusammenhang haben wir auch Begriffe wie Wachstum und die immer wieder angeführte Effizienz kritisch hinterfragt.Nationen

Auch möchten wir insbesondere Aspekte, die bislang entweder nicht berücksichtig, oder gar bewusst vernachlässigt wurden, wieder in den Blick rücken und, wenn notwendig, besonderes Augenmerk darauf legen; Alternativen zu anderen Konzepten aufzeigen, Denkanstöße geben.

Konkretes Beispiel Leitlinie Naturraum: Menschen benötigen intakte Natur zum Wohlfühlen und als Erholungs- und Rückzugsraum. Da wertvolle Naturflächen in großem Ausmaß dem Tagebau zum Opfer gefallen sind, möchten wir beispielsweise ein Vorrangprogramm für Bestandsflächennutzung bzw. -flächen, die durch den Ausstieg aus der Braunkohle und die Stilllegung von Kraftwerken nutzbar werden.

Daher haben wir auch einen kritischen Blick auf die von Wirtschaftsminister Prof. Pinkwart geforderten schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Es muss möglich sein, auch über solche Aspekte zu diskutieren, das Fenster zu einer neuen Debattenkultur aufzumachen um unterschiedliche Meinungen und Auffassungen auszutauschen und zu diskutieren und den in einer Demokratie entsprechenden Entscheidungsprozess in Gang zu setzen. Und zwar weg vom top down – und hin zu mehr bottom up.

In unserem Konzept wird der Mensch wieder in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt, und bringen dies auch in unserer Grafik zum Ausdruck.

Gute Arbeit

Faire (tarifliche) Vergütung, gewerkschaftlich organisiert, klima- und umweltfreundlich; Beschäftigungssicherung – langfristig zukunftsfähige, sichere Arbeitsplätze
Gutes Leben

Unterschiedliche Vorstellungen was ein gutes Leben ausmacht:

Gesundheit als Grundlage – Zustand des vollständigen, körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens (WHO-Definition); für einige ist ein gutes Leben ein Leben im Einklang mit der Natur, für andere ein Mindestmaß an Lebensqualität. Daher fordern wir auch
mindestens 2.000 Meter Sicherheitsabstand zwischen Tagebauen und Wohnbebauung.
Im Zusammenhang mit Ausstiegsszenarien wird immer wieder vom sozialverträglichen Kohleausstieg gesprochen.

Doch die Sozialverträglichkeit hat weit mehr Dimensionen als nur die der Beschäftigung: „ Dazu gehören sozial gerechte Lösungen, friedvolle Konfliktaustragungen, positive Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlempfinden und in manchen Quellen eben auch hohe Lebensqualität (Prof. Ortwin Renn, IASS, Potsdam, Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung).

Meine Damen und Herren, und wenn wir nun auf der einen Seite vehement einen sozialverträglichen Kohleausstieg fordern, dann können wir nicht parallel dazu weitermachen Menschen aus ihrer Heimat, ihrem Zuhause zu vertreiben. Zumal im Gutachten zur Beurteilung der Sozialverträglichkeit von Umsiedlungen die Verwendung des Begriffs Sozialverträglichkeit im Zusammenhang mit Umsiedlungen als kritisch bewertet wird. Und die Koalition der Betroffenen anlässlich des Besuchs von Ministerpräsident Laschet in Kuckum dies auch deutlich zum Ausdruck gebracht hat.
Dazu mein Statement.

Hier muss es einen fairen Interessenausgleich geben, dieser ist längst überfällig, denn diese Region gehört allen Menschen die hier leben und nicht nur denjenigen, die immer für sich reklamieren es sei „Ihr Revier“.

Das Revier gehört allen Menschen, die hier leben, und es ist daher auch wünschenswert, dass sich viele Menschen in den vor uns liegenden Gestaltungsprozess einbringen.

Wir wünschen uns daher eine institutionell verankerte breite Bürgerbeteiligung und echte Partizipationsprozesse.

Auch Herr Landrat Kreuzberg sprach erst gestern in einer Pressemitteilung von einem „breiten Gestaltungsprozess mit Menschen in der Region“.

Und wenn Rüdiger Warnecke, Prokurist und „Hausherr“ des Energie-Kompetenz-Zentrum, welches übrigens ein exemplarisches best practice Beispiel für unsere Leitlinie Bildung und Qualifizierung sein könnte, vorhin davon sprach, dass wir ein Kommunikations-Delta haben, dann kann auch das mit Hilfe breiter Beteiligungsprozesse minimiert werden.

Insbesondere in Zeiten der steigenden Politikverdrossenheit ist eine aktive Zivilgesellschaft wichtiger denn je.

Der Begriff oder das Konzept der Zivilgesellschaft hat dabei eine lange Tradition. Das Engagement beruht auf gesellschaftlicher Selbstorganisation von Bürgern und Bürgerinnen. Laut Bundeszentrale für politische Bildung gibt es „eine enge Verbindung zwischen der Fähigkeit einer Gesellschaft zur Selbstorganisation und der Robustheit ihrer demokratischen Verfasstheit.“

Sicherlich gibt es den zentralen Aspekt der Neuordnung des Energiesektors, begleitet von der Sicherung der Arbeitsplätze, aber daneben möchten wir den Blick weiten auf andere Felder, die bei der Erreichung der Klimaziele einfach unabdingbar sind.

Deshalb bringen wir zukunftstaugliche Perspektiven mit ein und integrieren z.B. neben der Partizipation aller Betroffenen auch die nachhaltige Entwicklung und denken nach über die Vernetzung von Wohnen und Arbeiten. Denn wenn wir ehrlich sind, niemand von uns weiß, wie Mobilität in 20, 30 Jahren aussehen wird, wie wir wohnen, wie wir arbeiten werden. Und deshalb begreifen wir unser Konzept auch nicht als starr sondern als eine art „work in progress“, ein Konzept, was sich weiterentwickeln und anpassen kann.

Wir würden heute nicht hier gemeinsam tagen, wenn es nicht die massiven Veränderungen unseres Welt Klimas, die Endlichkeit der Ressourcen und die Verletzlichkeit unsers Planeten Erde gäbe. Sie sind der Grund, warum wir unsere Wirtschaftsweise und unser persönliches Konsum- und Verbraucherverhalten und unsere Gewohnheiten überdenken.

Dabei sprechen wir schon längst nicht mehr vom Klimawandel, sondern von der Klimakrise. Und deshalb müssen wir vielleicht auch statt vom Strukturwandel von der längst überfälligen Strukturkorrektur sprechen.

Welche Alternativen haben wir bei der Energiegewinnung? Welche Rolle dabei Genossenschaften und mehr Bürgerbeteiligung spielen können, darüber werden wir heute Nachmittag sprechen.

Klar ist: die vor uns liegende große Transformation kann nur gemeinsam gelingen.

Dazu braucht es Mut, doch schon Adolf Kolping hat gesagt: „Wer Mut zeigt, der macht Mut“. Lassen Sie uns in diesem Sinne die Chancen, die dieser Prozess insbesondere unserer Energieregion bietet in den Blick nehmen und die Herausforderungen gemeinsam anpacken.

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Abschließen möchte ich aber noch mit einem ganz dicken Dankeschön an die vielen ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen, die hinter den Kulissen zum Gelingen dieser Veranstaltung beitragen und die sich im Vorfeld bei der Vorbereitung und der Planung dieser Veranstaltung, selbst die Weihnachtsferien hindurch, professionell, umsichtig und mitdenkend eingebracht haben. Vielen Dank dafür.

Ihnen wünsche ich interessante Impulse und gute Debatten im weiteren Verlauf dieser, hoffentlich für uns alle bereichernden, Veranstaltung.

Vielen Dank.

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