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Mein Redebeitrag bei der Landespressekonferenz am 23.1.2020 im Wortlaut

Redebeitrag von Antje Grothus bei der Landespressekonferenz am 23. Januar 2020: Zwischenbilanz zur Umsetzung der Empfehlungen der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung

In der Nacht vom 25./26.01. 2019 legte die Kohle-Kommission ihre Empfehlungen vor. Ein Jahr später ziehen wir als ehemalige Mitglieder der sogenannten „Kohlekommission“ bei der Landespressekonferenz eine Zwischenbilanz über den derzeit vorliegenden Stand der (Nicht) Umsetzungen der Empfehlungen und den bisherigen Prozess mit Focus auf Nordrhein-Westfalen

Werte Damen und Herren,

guten Tag,

Antje Grothus, Mitbegründerin der Initiative Buirer für Buir, Anwohnerin des Tagebaues Hambach und Vertreterin der Interessen der Tagebaubetroffenen im Rheinland . Danke, dass wir heute hier sein dürfen.

Beginnen möchte ich mit einer guten Nachricht:

Die Ära der Braunkohleförderung und –verstromung geht zu Ende.

Mit unserer Arbeit in der Kommission haben wir die jahrelange Blockade- und Verweigerungshaltung beim Kohleausstieg, auch hier in NRW, durchbrechen können.

Die schlechte Nachricht aber ist: Der vorgelegte Gesetzesentwurf kommt zu spät, ist nicht ambitioniert genug und lässt noch viele Fragen offen. Besonders enttäuschend ist, dass die Bundes- und Landesregierung es nicht einmal geschafft hat unseren Minimalkompromiss, trotz vielfältiger Beteuerungen und Lippenbekenntnisse dies tun zu wollen, 1:1 umzusetzen.

Es verbietet sich daher auch von einem gesamtgesellschaftlichen Kompromiss zu sprechen. Das haben wir auch mit 8 von 27 abstimmungsberechtigten Mitgliedern der Kommission Anfang dieser Woche deutlich gemacht. Die Belange der Betroffenen, insbesondere der Menschen in den Dörfern, die RWE noch zerstören will, die Belange des Umwelt- und des Klima Schutzes kommen zu kurz.

In Salamitaktikmanier begann die Bundesregierung schon letzten Sommer beim Strukturstärkungsgesetz, welches als erstes auf den Weg gebracht wurde, wichtige Empfehlungen aus unserem Bericht nicht zu berücksichtigen. Vorgeschlagene Bewertungskriterien für die Verwendung von Strukturwandelfördergeldern, beispielsweise die Ausrichtung an den sdg´s , die Förderung von treibhausgasneutralem Wirtschaften und der Ressourcenschutz, wurden nicht verankert. Das macht den Weg frei dafür, dass Millionen Strukturwandelfördergelder zukünftig in Prestigeprojekte fließen, die uns beim Strukturwandel, der in die große Transformation eingebettet werden muss, nicht wirklich weiterbringen oder sogar dem Klima schaden. Ferner fehlen für die Zivilgesellschaft wichtige Passagen.

Und auch beim Energie- und Kohleteil wurde anschließend kräftig gekürzt: bei der Steinkohle, dem Ausbau der erneuerbaren Energien und zuletzt beim Braunkohleausstiegspfad. Vorgelegt wurde stattdessen ein Braunkohleerhaltungsgesetz.

Der größte Skandal dabei ist für mich, dass als einziger Tagebau in ganz Deutschland der Tagebau Garzweiler 2 mitsamt des 3. Umsiedlungsabschnitts im Kohlegesetz festgeschrieben werden soll. Mit diesem Vorgang würde die Tagebauplanung erstmals von der Landes- auf die Bundesebene gehoben.

Mir drängt sich der Eindruck auf, dass sich Ministerpräsident Armin Laschet höchstpersönlich mit dem Bestandsschutz des Tagebaus Garzweiler im Kohlegesetz selbst verwirklichen will. Eine solche „Lex Laschet“ würde beispielsweise sonst übliche Beteiligungsprozesse im Rahmen von Rahmenbetriebsplänen und Leitentscheidungen, in denen wir Anwohner*innen Mitspracherecht haben, einfach aushebeln.

Aber auch aus anderen Gründen ist das widersinnig:

  1. aus betriebswirtschaftlicher Sicht: RWE wiederholt immer wieder wie schwierig und teuer die Umplanung eines Tagebaus sei. Für den Tagebau Garzweiler gibt es zwar seit 2016 eine neue Leitentscheidung, noch ist der Tagebau aber mitten im offenen Umplanungsprozess. Es liegt also nahe genau an diesem Tagebau die notwendigen weiteren Verkleinerungen umzusetzen!

Mit dem vorgelegten Abschaltplan sollen aber stattdessen Kraftwerksblöcke am Standort Weisweiler am Tagebau Inden vorzeitig abgeschaltet werden, obwohl dieser Tagebau bereits komplett bis zu seinem planmäßigen Ende 2030 durchgeplant und vollständig erschlossen ist. Dort stehen keine Devastierungen von Dörfern mehr an.

Nach Angaben von RWE soll der Tagebau Inden fünf Jahre früher geschlossen werden und stattdessen im Tagebau Garzweiler mehr Kohle gefördert werden. Der bereits durchgeplante Tagebau Inden soll also – für fünf Jahre weniger Laufzeit – noch einmal für verbleibende fünf Jahre ungeplant werden und dann 2025 enden. Ein bereits abgeschlossener Planungsprozess wird damit unnötig wieder aufgemacht!

  1. Ein Bestandsschutz von Garzweiler konterkariert die in den Kommissions-Empfehlungen und auch im aktuellen Gesetzesentwurf vorgegebenen sog. Revisionsdaten. Angeordnet werden im § 48 Überprüfungen des Kohleausstiegs. Im Jahr 2022, 2026, 2029 und 2032 soll lt. Empfehlungen jeweils eine Bewertung der bis zu den jeweiligen Jahren umgesetzten Maßnahmen mit Bezug auf Versorgungssicherheit, Strompreisniveau, UND Klimaschutz, stattfinden. (empfohlen haben wir aber zusätzlich eine Überprüfung der Enddaten der Kohleverstromung in 2026 und 2029.)

Was, wenn sich ergibt, und aufgrund der Klima Krise ist das sehr wahrscheinlich, dass für mehr Klimaschutz weit weniger Kohle gefördert und verheizt werden darf?

Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, brauchen wir also eher eine neue bzw. überarbeitete Leitentscheidung mit Flexibilitätsoptionen, also mit zurückgenommenen variablen Tagebaugrenzen, statt eine Bestandsgarantie für den Tagebau Garzweiler in seiner jetzigen Größe. Wir haben im Jahr 2016 bereits einmal erlebt, dass bei einer Verkleinerung eines Tagebaues klimapolitisch zu kurz gesprungen wurde.

Damals wurden aber wenigstens 1.400 Menschen in Holzweiler vor der Umsiedlung gerettet. Und damit kommen wir zu dem für mich wichtigsten und entscheidenden Grund.

  1. Stellen wir die Menschen doch endlich in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen. All diese Planungen haben Auswirkungen auf das Persönlichste von Menschen und greifen tief in die Lebensplanung der betroffenen Menschen, ihre Identität und ihre Lebensgeschichte ein. Ich lebe selbst am Tagebau Hambach und erlebe täglich, was das Leben mit der Braunkohle für Tagebaubetroffene bedeutet.

Am Tagebau Garzweiler hängen die Schicksale von fünf Dörfern, die an seinem nördlichsten Rand liegen: Keyenberg, Kuckum, Unter- und Oberwestrich und Berverath. Die Entscheidungen, die die Bundes- und Landespolitik jetzt trifft, sind sehr weitreichende Entscheidungen über Menschen, ihr Leben und ihre Schicksale.

Weltweit verlieren durch die Klima Krise Menschen ihr Leben oder ihre Lebensgrundlagen.

Und hier in Deutschland, quasi vor der Haustüre dieses Landtages, sollen Braunkohle-Tagebaue zusätzlich noch direkt Dörfer und die Heimat und das Zuhause von Familien vernichten dürfen, obwohl sich das verhindern lässt?

Für mich ist das Zuhause von Menschen nicht verhandelbar und die unwiederbringliche Zerstörung von Dörfern nicht akzeptabel.

Für meine und unsere Zustimmung zu den Empfehlungen war unabdingbar, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um weitere Umsiedlungen im Bereich der Braunkohletagebaue zu vermeiden.

Ich sehe den KWSB-Kompromiss im Hinblick auf die damit verbundenen schwerwiegenden Belastungen für Dörfer und Menschen durch die „Lex Laschet“ jetzt ernsthaft verletzt. Hier würde auch die Chance vertan, einen gesellschaftlichen Großkonflikt zu befrieden und mit der Berücksichtigung der Belange der Tagebaubetroffenen endlich soziale Gerechtigkeit herzustellen.

Die jetzt geplanten Umsetzungen widersprechen dem Geist und Text der Empfehlungen der Kohlekommission.

Sie alle kennen die Formulierung „die Kommission bittet die Landesregierungen mit den Betroffenen vor Ort in einen Dialog um die Umsiedlungen zu treten um soziale und wirtschaftliche Härten zu vermeiden.“ Eine solche Formulierung kann doch nur zur Folge haben, dass auch in der Realität soziale und wirtschaftliche Härten, und Umsiedlungen sind für viele Anwohner*innen unmenschliche Härten, vermieden werden. Wir haben nie festgelegt, dass weiter Umsiedlungen stattfinden sollen, sondern sie vielmehr in Frage gestellt, was auch im Passus „..Anwohnerinnen, die vom Tagebaubetrieb sowie gegebenenfalls von Umsiedlungen betroffen sind oder wären“ deutlich wird.

Gemäß den KWSB-Empfehlungen muss auch verbindlich geregelt werden, dass der Hambacher Wald dauerhaft erhalten wird. Auch das ist in der Bund/Länder Einigung so nicht festgehalten. Wenn der Hambacher Wald zu einer Halb- oder Dreiviertelinsel umbaggert wird, kann er nicht dauerhaft überleben.

Sehr geehrte Damen und Herren,

solange Tagebaue betrieben und dafür Menschen aus ihrem Zuhause vertrieben werden, können wir in Deutschland nicht von einem gesamtgesellschaftlichen Kohle-Kompromiss sprechen.

Ein Ministerpräsident, der im Sommer 2018, während die Kohlekommission tagte, einen Vorwand gesucht und geschaffen hat, den Hambacher Wald zu zerstören, hat jetzt erneut einen Vorwand gesucht und gefunden, um Dörfer zu zerstören und Menschen aus ihrem Zuhause zu vertreiben. Diese Winkelzüge von Armin Laschet gehen auf Kosten von Menschen, Natur und Klima hier in Nordrhein-Westfalen. Damit vergiftet der sogenannte Landesvater nicht nur das meteorologische Klima, sondern in erster Linie auch das gesellschaftliche Klima.

Dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel sich mit Laschet gemein macht und Konflikte nun wieder anheizt, statt die Chance für eine Befriedung zu ergreifen, ist verantwortungslos. Und das nicht nur gegenüber uns betroffenen Menschen um die Tagebaue, sondern gegenüber allen, die in den Konfliktlagen wieder aufeinandertreffen werden: Demonstranten, Polizisten, Mitarbeiter.

Denn klar ist, dass die Proteste in NRW weitergehen, wenn die vorgelegte Einigung so umgesetzt wird. Und nicht nur Fridays for Future und Klimaaktivist*innen werden dabei sein. Auch Bürger*innen ist nicht mehr vermittelbar, dass mit ihren Steuergeldern die Milliarden-Entschädigungen für den Kohlekonzern finanziert werden, RWE aber weiter alles (Heimat, Zuhause, Natur, Umwelt und das Klima) zerstören darf.

All diese Entwicklungen sind umso bedauerlicher, da wir jetzt die Energie der Menschen, statt bei Demonstrationen für den Erhalt der Dörfer, für den dauerhaften Erhalt des Hambacher Waldes, für mehr Klimaschutz und gegen Datteln IV, bei der Gestaltung der Gemeinschaftsaufgabe des Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen, im Rheinland, dringend brauchen.

Vor, während und auch noch ein Jahr nach der Kohlekommission schaffen die Kohlebagger von RWE vorort täglich unwiederbringliche Fakten: zerstören Dörfer, Feldhöfe, wertvollstes Ackerland, Wald und Natur – und damit auch Zukunfts- und Entwicklungsperspektiven von Menschen und Kommunen.

Da alle folgenden Umplanungen Monate, wenn nicht Jahre dauern werden, fordere ich die Landesregierung auf nun endlich ein Moratorium durchzusetzen.

Damit der Kohlekonzern RWE nicht weiter unsere Heimat und die Zukunft des Rheinlandes verheizt.

Und damit wir wieder in Ruhe und Frieden leben können.

Vielen Dank!